KROATISCHER KREUZGANG S Y N O P S I S Anfangs April 1945 war die Ostfront in Kroatien unter schweren Druck von Titos Partisanen, die sich jetzt Volks-Befreiung-Armee (NOV) nannte. Der Unabhängige Staat von Kroatien (NDH) stand unter Führung von Poglavnik Dr. Ante Pavelic und den Anhängern des Ustascha Regimes die in April 1941 mit Hitlers Deutschem Reich einen Freundschafts- und Beistandspakt abgeschlossen hatten. Im Norden von meiner Heimatstadt Osijek rückte die russische Armee, der sich die neu formierten bulgarischen und ungarischen Volksarmee Einheiten angeschlossen hatten, durch Ungarn unaufhaltsam vor. Diese feindlichen Einheiten waren schon weit nach Westen Richtung Wien vorgedrungen. Anfangs April 1945 wurde der deutsche Brückenkopf bei Harkany, ungefähr 40 km flußaufwärts von Osijek, aufgelassen, was der Stadtbevölkerung kaum bekannt war. Man hatte sich an die Frontlinie entlang des Drava Flusses in den letzten vier Monaten gewöhnt. Am Morgen des 13. April 1945 erfuhren wir von der 1. Domobran Haubitzen Batterie, dass wir uns für den Abmarsch später am Nachmittag vorzubereiten haben.
Ich bin dieser Einheit der Hrvatski Domobran (Kroatische Heimwehr - reguläre Armee) im Dezember 1944 zugeordnet worden, da ich kurz zuvor zum Fähnrich der Artillerie ernannt wurde. Am Anfang war ich als vorgeschobener Beobachter eingeteilt und später diente ich als Offizier in der Batteriestellung. Vor dem Abmarsch konnte ich mich von meinen Eltern verabschieden. Alle meine Versuche nicht mit der Batterie zurückziehen zu müssen waren umsonst. Ich hatte schon früher versucht Kontakt mit den Partisanen aufzunehmen um mich ihnen anzuschliessen, doch es kam nie dazu. Ich wusste auch nicht, wo ich mich in Osijek verstecken sollte, um das Kriegsende bzw. die Ankunft der Befreier abzuwarten. Alle Möglichkeiten wurden erörtert und wurden verworfen, um meine Familie nicht noch mehr zu gefährden. So musste ich mich dem Rückzug am selben Abend anschliessen. Die Batterie hat Osijek in südlicher Richtung verlassen, doch drehten bei Podgorac am nächsten Morgen nach Westen in Richtung Našice um. So näherte sich die Batterie der Frontlinie, die am rechten Ufer der Drava verlief. Bei einem Luftangriff in Našice wurde mein Pferd tödlich verletzt so dass ich es erschiessen musste. Mein Schul- und Kriegskollege, der zweite Fähnrich in der Batterie, kehrte nach diesem Luftangriff zur Einheit nicht zurück - er desertierte. Der nun offiziell bekannt gegebene Rückzug der Armee in westlicher Richtung wandelte sich mit der Zeit zu einem allgemeinen Exodus Kroatiens. Der Verkehr auf den Strassen verdichtete sich ständig durch die fliehende Bevölkerung, die sich den kroatischen und deutschen Einheiten angeschlossen haben. Neben Mali Grdjevac, das zwischen Osijek und Zagreb ungefähr auf halben Weg liegt, wurde die Batterie in schwere Nachtkämpfe mit unbekannten feindlichen Einheiten verwickelt. Von einem vorgeschobenen Beobachtungsposten bei Mali Grdjevac habe ich das Feuern der Haubitzen während der ganzen Nacht kommandiert. Am nächsten Morgen konnte ich der feindlichen Gefangenschaft im letzten Moment entkommen. Paar Tage später bei Žabno ist mir Ähnliches gelungen als man mich auf Beobachtungsposten im Kirchturm vergessen hatte, der Feind nahte wobei die Haubitzen die Stellung schon beinahe geräumt hatten.
Am späten Nachmittag vom 8. Mai verliess die Batterie Krizevci und folgte der Strasse nach Nordwesten und entfernte sich immer weiter von Zagreb. Die jugoslawische Befreiungsarmee hat Zagreb, die Hauptstadt Kroatien s, am selben Tag befreit. Noch in der selben Nacht erfuhren wir von den Waffenstillstand und dass der Krieg in Europa aufgehört hat. Nun blieb uns als einzige Hoffnung so schnell und weit wie möglich nach Westen zu kommen um sich den westlichen Alliierten zu übergeben und nicht in die Gefangenschaft bei den Russen oder Bulgaren zu fallen. Und so ging der kroatische Rückzug weiter nach bzw. durch Slowenien in Richtung nach Österreich.Vom Osten bedrängten uns die Einheiten der Befreiungsarmee verfolgend und in den Wäldern waren slowenische Partisanen, die uns am Weg durch die engen Täler ständig bedrohten. So wurden die Kroaten immer mehr nach Westen verdrängt in Richtung der Russen und Bulgaren die das Gebiet nördlich von der Drau schon besetzt hatten. Es gelang einigen Einheiten der kroatischen Armee, ins besondere den Ustaschas nach blutigen Kämpfen, aus dieser immer enger werdenden Umklammerung auszubrechen und sich zu den Alliierten zu retten. Poglavnik selbst (= der Führer) mit den meisten kroatischen Politikern und auch viele hohe Beamte der Regierung haben sich diesen Ustascha Einheiten angeschlossen so hatten sie möglicherweise die Sicherheit im Westen gefunden. Man hörte Gerüchte von furchtbaren Massakern an Kroaten, denen es gelungen war die Drau bei Dravograd zu überschreiten und sich der britischen Armee übergeben hatten. Die Briten bei Bleiburg haben Tausende kroatischer Kriegsgefangener entwaffnet, um sie dann an die Armee Titos zu übergeben. Dieses Kriegsverbrechen haben viele Tausende von Kroaten nicht überlebt. Nachmittags am 14. Mai hat der Kommandant die Batterie ohne Anweisungen oder Mitteilung verlassen und ich blieb als einziger Offizier zurück. In dieser aussichtslosen Situation fand ich als beste Lösung sich den Partisanen zu übergeben. Ich hoffte, dass ich als Kriegsgefangener nach der Genfer Konvention von ihnen behandelt werde. Titos Befreiungsarmee hat schon früher allen kroatischen Domobranen, die sich ihr übergaben volle Sicherheit garantiert, wenn sie dem faschistischen Regime absagen und ihre Waffen abgeben. Ich erklärte meine Absicht der versammelten Mannschaft und mit ihrer Zustimmung wurde den Pferden das Geschirr abgenommen und sie im Wald angebunden. Die Haubitzen wurden unfähig gemacht, Schiesspulver verbrannt und die Granaten-Zünder zerstört. Nach Mitternacht führte ich die Batteriemannschaft die Strasse, an der wir von einigen Stunden hierher kamen, in Gefangenschaft zurück. In frühen Stunden des 15. Mai, noch vor Sonnenlicht, übergab ich mich einer nicht sichtbaren Einheit der Befreiungsarmee. Beim Morgengrauen wechselte ich meine Militärkleidung so gut es ging in zivile Teile, die ich mit hatte. Kurz darauf kamen plündernde und siegesbewusste Soldaten die unter Decknamen des „tauschen" alles von uns Gefangenen wegnahmen. In kurzer Zeit habe ich fast alle meine Sachen an einen recht schäbig ausgerüsteten Soldaten, sogar ein Paar Reserveschuhe, verloren. Später am Vormittag eskortierte man mich zurück nach Slovenjgradec zu einer grossen Obstplantage, die als offenes Sammellager umfunktioniert wurde. In diesem weiten umzäunten Gelände drängten sich Tausende nur männliche Gefangene wo man beim Eingang die Domobranen von Ustascha getrennt hatte. Am 17. Mai kam der Befehl das Lager zu räumen und für die dort versammelten ungefähr 40.000 Gefangenen war das der Beginn ihres Todesmarsches der als DER KROATISCHE KREUZGANG später genannt wurde. Von Anfang des Marsches an wurden wir einem enormen physischen Druck des nicht mehr zu ertragenden Hungers und Durstes unterworfen. Grobe und unbamunbarmherzige Attacken der Wachen und der feindlich gesinnter Bevölkerung war die Ursache für den sehr hohen Zoll den die kroatischen Gefangenen unterwegs mit ihrem Leben zahlen mussten. Jene die dieses überlebt hatten waren für immer sehr schwer körperlich und seelisch gezeichnet. Zur Zeit als der Weltkrieg in Europa schon vorbei war mussten die Kroaten noch viele schauderhafte und erschütternde Greuel ertragen. Zu viele Personen sind wegen körperlicher Schwäche oder aus purer Verzweiflung gestorben, andere wurden in den folgenden Tagen oder Wochen einfach getötet oder kaltblutig ermordet, als im restlichen Europa schon Frieden herrschte. Kurz vor Celje habe ich meine Stiefel bei einer von vielen gewaltigen "Tauschgeschäften" (genant "dzoranje") verloren. Ic h fand nichts, womit ich die Füsse umwickeln könnte und so musste ich mehr als 450 Kilometer barfuss gehen. Unterwegs war ich ständig auf der Suche nach irgend Etwas das man als Bandagen verwenden könnte, nur waren diese Behelfe nach kurzer Gehzeit schon kaputt. Ich bettelte um Trinken und Nahrung, um ein Stück Tuchzeug. Ich weinte und fluchte auf mein Schicksal, verfluchte alle die an der Macht sind und oft die ganze Menschheit dazu. Noch nicht ganz zwanzig Jahre alt habe ich unzählige Leute zusammen brechen gesehen und wie sie zugrunde gehen. Andere wieder die stahlen was sie nur konnten. Wie sie die Schwachen ohne Rücksicht quälen um sie dann zuletzt unbekümmert und kaltblütig zu töten.Ich habe aber auch persönliche Tapferkeit, Menschlichkeit und Mitleid erlebt. Ich habe Leute getroffen die, ohne an ihre Sicherheit zu denken, uns geholfen haben. Für mich unvergeßlich blieben die Frauen aus Daruvar, die mit ihrer Entschlossenheit und Tapferkeit die Wache gestürmt hatten um uns Nahrung bringen zu können. Sie haben das Leiden erleichtert und vielen das Leben gerettet. In einer Gruppe von Dutzend Domobran-Offizieren erreichte ich endlich Osijek am 2. Juni 1945 nach 16 Tagen des Gewaltmarsches. Wir waren immer noch die Kriegsgefangenen und man hat uns gesagt, das wir erst eine UMERZIEHUNG durchmachen müssten bevor man uns als Offiziere der jugoslawischen Volksarmee akzeptieren könnte. Vorläufig waren wir für sie namenlose Kriegsverbrecher und das ohne Untersuchung oder gerichtliche Verfahren.
An meinem 20-sten Geburtstag gelang es meinem Vater mich aus der Kolonne zu holen und nach Osijek in das Gefängnis der OZNA 3, die militärische Geheimpolizei, für weitere Untersuchung zu bringen. Dort fand ich den Luxus des trockenen Bodens in einer Einzelzelle auf dem ich endlich ruhig schlafen konnte. Anfangs wurde ich als Kriegsverbrecher behandelt, bis ich ein paar Tage später und nach mehreren Stunden Befragung meinen Lebenslauf selbst auf der Schreibmaschine geschrieben hatte. Ich kam dann in eine bessere Zelle mit mehreren Häftlingen zusammen. Ich habe diese dann mehrere Wochen später verlassen um einem Kurs zur „Umerziehung" beizuwohnen. Nach einem Monat in der Obhut der OZNA 3, dessen Gefängnis sich in dem Kloster der Franziskaner in der Festung von Osijek (genannt „Tvrdja") befand, reiste ich mit dem Zug erst nach Petrovaradin und dann nach Novi Sad. Zuletzt landete ich in einem Lager für kriegsgefangene Domobran-Offiziere weit im Osten Serbiens. Ich fühlte mich da schon viel besser, obwohl ich mehr als die Hälfte meines Körpergewichtes in vier Wochen verloren habe, besonders als ich in dem Lager bei Kovin einige Kameraden gefunden hatte die wie ich den Todesmarsch überlebt hatten. Die Zeit des sogenanten Umerziehens verging im Lager bei Kovin recht schnell und ich habe dort etwas vom körperlichen Zustand gutmachen können, aber in der Seele lagen die Wunden sehr tief. Aus diesem Grund habe ich beschlossen die Erinnerung an eine Zeit, in der ich die untersten Stufen menschlicher Natur erlebte, aufzuarbeiten und damit tief in dem Gedächtnis meines Unterbewusstseins zu verdrängen - aber nicht zu vergessen. Es war mir klar das ich eine schreckliche ethnische Säuberung und Genozide im Jahr 1945 überlebt hatte. Dabei viele Tausende Kroaten, unzählige junge erst eingezogene und kaum der Schulzeit entwachsen, nicht im Krieg sondern durch eigene Landsleute ihr Leben lassen mussten. Am 14. August konnte ich das Lager für Kriegsgefangene in Kovin, nach der allgemeinen Amnestie und Pardonierung des AVNOJ (= Antifaschistischer Volksrat der Befreiung Jugoslaviens) vom August 3, 1945 für die kroatische Offiziere, verlassen. Endlich frei begab ich mich auf den Weg nach Hause aber ich konnte mich nicht von meinen bitteren Erinnerungen befreien, die mich als Alpträume durch viele Jahre verfolgten.
Vierzig Jahre später beschloss ich meine Erlebnisse aufzuschreiben und so entstand 1984/5 das Manuskript in englischer Sprache mit dem Titel "RE-EDUCATION or Four Months in the Life of a Young Man". Ich habe versucht, den jüngeren Generationen zu zeigen welche Grausamkeiten und Brutalitäten der Krieg in jedem Menschen auslösen kann. Zu dieser Zeit war das Thema über die Todesmärsche noch immer ein streng gehütetes Geheimnis mit großer politischen Brisanz. Knapp fünfzehn Jahre später kann ich ohne Repression befürchten zu müssen, endlich in kroatischer Sprache zur Veröffentlichung bestimmt schreiben. Nach langen Jahren des Schweigens kann unsere Geschichte objektiv aufgearbeitet werden. Dass Wissen um die Wahrheit über die Vergangenheit unserer Heimat ist die Grundlage für ein Verstehen und damit der Pfeiler einer tragfähigen Brücke für die Zukunft Kroatiens. Meine Erinnerungen wurden in Kroatien in Buchform 1999 veröffentlicht.
Zusammengestellt von Zvonko Springer in Anif, März 1999. |
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